Ich führe ein Versicherungsunternehmen und ich bin versucht, Schadensansprüche abzulehnen.
Denn, seien wir ehrlich, jeder Euro, den ich nicht ausbezahle, fließt in unseren Gewinn.
So funktionieren Versicherungen nun einmal, was kann ich sagen?!
Das Problem ist, dass zu viele Enthüllungsberichte diese Praxis, nun ja, enthüllt haben (z. B. CNN) und die Kund*innen sind dem gegenüber nicht blind geblieben. Wollen Sie wissen, was Leute heutzutage von Versicherungen halten? Sehen Sie sich einfach die Definition im „Urban Dictionary“ an:
Autsch.
Es ist wichtig, wie Kund*innen Versicherungen wahrnehmen. Wenn Menschen davon ausgehen, dass es ein abgekartetes Spiel ist, lassen sie ihre Schäden größer wirken, als sie eigentlich sind. Sozusagen als „Ausgleich“.
Das wiederum gibt Versicherungsunternehmen umso mehr Gründe, Forderungen abzulehnen – Versicherungen werden somit in eine „Wie du mir, so ich dir”-Spirale geschickt.
Und das ist wirklich übel.
Einige Studien belegen, dass dieses gestörte Vertrauensverhältnis 38% der Versicherungsgelder kostet (Wikipedia). Auch wenn der monetäre Verlust sehr hoch ist, sind die wahren Kosten um einiges gravierender: Das Misstrauen zerfrisst die Struktur und die Wahrnehmung von Versicherungen. Deshalb sind Versicherungen so dermaßen unbeliebt.
Was kann dagegen getan werden?
Es wäre natürlich besser, wenn jeder einfach ehrlich wäre. Das Problem dabei ist, dass keine Seite etwas davon hat, wenn nur sie sich besser verhalten. In der Spieltheorie wird eine solche Pattsituation als „Nash-Gleichgewicht“ bezeichnet und befinden sich Versicherungen in diesem Zustand, verlieren alle.
Fangen wir von vorne an
Stellen Sie sich vor, Sie wollen diesen Teufelskreis durchbrechen. Sie gründen eine neue Art von Versicherungsunternehmen und möchten, dass es auf Vertrauen basiert und dass ihm zudem Vertrauen entgegengebracht wird. Was muss dazu getan werden?
Sie hegen die besten Absichten und meinen es gut, und könnten es mit dem „Vertraue mir“-Ansatz versuchen. Das wäre das Offensichtliche. Aber gerade weil Sie die besten Absichten haben, sollten Sie nicht an Ihr eigenes Geschwätz glauben. Versicherungsleute sind keine schlechten Menschen und sowohl sie als auch wir sind gleich anfällig für Interessenkonflikte.
Oscar Wilde hat es auf den Punkt gebracht: „Ich kann allem widerstehen, außer der Versuchung!“
Ich wünschte, es wäre anders. Aber das Problem liegt im System und gute Absichten verpuffen einfach.
Genau diese Herausforderung hat uns in den Monaten vor der Gründung von Lemonade beschäftigt. Je mehr wir darüber nachgedacht haben, desto überzeugter waren wir, dass wir ein klassisches Problem der Spieltheorie vor uns hatten.
Es schien sich um eine Variante des Gefangenendilemmas zu handeln, bei dem beide Seiten wegen des Misstrauens gegenüber einander verlieren.
Um unsere Gedankengänge zu überprüfen und verfeinern zu können, haben wir uns kurzerhand entschlossen, einen Nobelpreisträger auf dem Gebiet der Spieltheorie anzurufen. Nicht reagierend auf unsere ersten Dutzend Anrufe, hat er schließlich aber eingewilligt, uns zu helfen, wenn wir ihn dafür in Ruhe ließen. Das war der Grundstein für Lemonade.
Wir haben im Entstehungsprozess von Lemonade einige wirklich coole Technologien entwickelt. Unser mächtigstes Werkzeug, das zum Einsatz kommt, wird von Spieltheoretikern als „Odysseus-Vertrag“ bezeichnet.
In der Odyssee gibt es die Insel der Sirenen, die von wunderschönen weiblichen Wesen mit verführerischen Stimmen bewohnt wird. Unglücklicherweise waren das psychopathische Mörderinnen, die mit ihren Liedern Seefahrer in ihr Verderben gelockt haben. Mit der Zeit wussten alle, was ihnen blüht, doch jeder war sich sicher, dass er der Musik lauschen konnte, ohne die Konsequenzen tragen zu müssen. Diese Überheblichkeit kam ihnen teuer zu stehen.
Nur Odysseus fand einen Weg. Er ließ sich an den Schiffsmast fesseln, sodass er nicht den Kurs ändern konnte.
Und das ist eine strukturelle Lösung.
Wenn einem klar wird, dass man in Zukunft nicht in der Lage sein wird, einer Versuchung zu widerstehen und sich deshalb selbst davon abhält, hat man eine bewährte spieltheoretische Technik angewendet, um das Nash-Gleichgewicht zu verändern.
Dieser Odysseus-Vertrag ist das, wofür Lemonade steht.
Lemonade ist eine Public Benefit Corporation, ein B-Corp-zertifiziertes Unternehmen, und unser Team möchte einfach das Richtige tun. Allerdings möchte ich unsere Begeisterung für soziale Gerechtigkeit nicht jeden Tag mit unserer Begeisterung für Aktienoptionen messen.
Wenn wir wollen, dass Sie uns vertrauen, müssen wir mehr tun, als nur unsere guten Absichten zu beteuern. Viel mehr. Wir müssen das machen, das wirklich für Veränderung sorgt:
Unsere Hände binden.
Genau das haben wir gemacht. Wir haben beschlossen, dass wir einen fixen Anteil nehmen. Und wenn Geld übrig bleibt, spenden wir es an einen guten Zweck, der Ihnen am Herzen liegt. Das hat noch kein Versicherungsunternehmen zuvor gemacht.
Indem wir “nicht beanspruchtes Geld” unerreichbar gemacht haben, haben wir die Versuchung beseitigt und das Spiel verändert.
Und es ändert alles. Versicherungsunternehmen verdienen üblicherweise Geld, indem sie Prämien („Float“) investieren oder weniger für Ansprüche und Aufwendungen ausgeben, als sie durch Prämien einnehmen („versicherungstechnischer Gewinn“). Lemonade macht nichts von beidem. Wir stellen die Beiträge monatlich in Rechnung, sodass das Geld sich dank Zinsen auf Ihrem Konto vermehrt, nicht auf unserem, und zu Jahresende spenden wir das nicht in Anspruch genommene Geld.
Zu wissen, dass eine ausgeschmückte Schadensmeldung auf Kosten einer guten Sache geht, die Ihnen am Herzen liegt, kann auch Ihr Verhalten ändern – und somit einen positiven Kreislauf schaffen.
Letztendlich möchten wir ein neues Nash-Gleichgewicht schaffen, allerdings eines, in dem gemeinsame Interessen Vertrauen hervorbringen und in einem Produkt münden, das günstig, stressfrei und liebenswert ist.
Ich führe ein Versicherungsunternehmen und bin trotzdem nicht versucht, Ihre Schadensansprüche abzulehnen.
So funktioniert Lemonade – was kann ich dazu noch sagen?